Samstag, 19. November 2011

Das weite Land des komplizierten Subjekts

"Die Seele... ist ein weites Land. So vieles hat zugleich Raum in uns: Liebe und Trug, Treue und Treulosigkeit, Anbetung für die eine und Verlangen nach einer anderen oder nach mehreren. Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos."

Arthur Schnitzlers "Das weite Land" – Residenztheater München (Foto: Hans Jörg Michel)
Die Ordnung wird durch Stand, Gesellschaft, Traditionen und Routine bestimmt, das Innenleben sollen wir innerhalb der nächsten 3 Stunden erforschen.

Regen und Nebel, ein kalter Luftzug weht durch den Theatersaal; so beginnt Arthur Schnitzlers "Das weite Land", mit dem die Spielzeit 11/12 am Bayerischen Staatsschauspiel unter dem neuen Intendanten Martin Kusej eröffnet wurde. Eine Stimme wirft essentielle Fragen in den Raum: wer sind wir und wo stehen wir in der Gegenwart? Was machen wir mit unserer Verpflichtung Traditionen gegenüber, mit denen wir aufgewachsen sind und die uns Halt geben sollen? Und was ist und wohin bringt uns die Zukunft? 

Wir befinden uns vor einem tropischen Lianenvorhang, dessen Symbolhaftigkeit erst nach und nach deutlich wird, je mehr sich die Figuren auf der Bühne in "Herzensschlampereien" begeben, sich die Beziehungen auflösen und wieder neu verstricken, kurzum man sich im eigenen Gefühlsdschungel verlaufen muss. In diesen Dschungel, und damit in ihr Unterbewusstsein, tauchen die Figuren ab und kommen meist zerkrazt und blutig wieder hervor. Erstaunlich viel Psychologie für diese Figuren mit Adelstitel und Vermögen, die sich über gesellschaftliche Strukturen definieren, deren absoluter Höhepunkt nur noch eine Reise raus ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten sein kann. Nach Aufstieg und Fall, was mit einer gigantischen Bergkulisse und einer Gerölllandschaft durchaus wörtlich genommen werden kann, finden wir uns in freudianischer Manier wieder auf einem psychoanalytischen Sofa. Immer neue Verstrickungen werden ebenso plötzlich sichtbar als sie wieder vertuscht und zugedeckt werden. Und dennoch scheint sich alles irgendwie aufzulösen... zurück bleibt: ein tragikomischer Held.

Entgegen aller Erwartungen bricht Martin Kusej (noch) nicht mit den Dornschen Sehgewohnheiten: starke, symbolisch aufgeladene Bilder und Figuren präsentiert er uns. Der Zuschauer wird stark in seine Beobachter-Rolle zurückgedrängt, emotionales Mitgehen ist streckenweise schwer möglich. Die gewohnt große Bühne ist auf einen Guckkasten geschrumpft: ein kleiner voyeuristischer Blick in die Innenwelt der Figuren.

Mittwoch, 9. November 2011

Schlusspunkt.

Wir träumen vom Suchen und Finden der Liebe, wir träumen von Beziehungen, aber wir träumen garantiert nicht vom Ende eben dieser!

Rosa Brille abgesetzt. Seifenblase geplatzt. Aufgewacht. Aus der Traum.
Und jetzt? Schluss machen per SMS? Schluss machen per Facebook-Status-Eliminierung? Schluss machen per Chat? Schluss machen per Skype? Schluss machen per Brief? Schluss machen per Gespräch?

So kreativ wie beim Beziehung beenden, dem gefürchteten “Schluss machen”, sind die meisten während der ganzen Beziehung nicht. Lange wird überlegt, lange wird nachgedacht, lange wird getippt, gelöscht, neu getippt… lange wird gesucht nach Gründen, wenn man keine findet oder sich um Kopf und Kragen reden müsste, wird der Grund einfach ausgespart.
Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, es gibt schon fast mehr „Schlussmach-“ als „Anmachsprüche“.

Beginnen wir mit dem Anfang vom Ende: „wir müssen reden…“ selten ist ein Satz so dermaßen brutal eindeutig konnotiert wie dieser – Der Auslöser für eine Explodieren an Gedanken, Selbstvorwürfen und Gegenfragen.
„es liegt nicht an dir, es liegt an mir…“ – warum tust du dann nichts dagegen?
„ich hab lange nachgedacht…“ – und warum alleine? Sind Beziehungen nicht dazu da, dass man ein vertrautes Gegenüber vor sich hat, mit dem man eben auch zusammen denken kann?
„weißt du, es hat einfach keinen Sinn…“ – plötzlich? Aber 2 Jahre mit Herzchen in den Augen vollkommen zusammenleben.
Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen... erschreckend, dass im Internet sogar schon "Schlussmach-Abos" kursieren...

Glücklich, wer all das noch von Angesicht zu Angesicht aufgesagt kriegt. Heutzutage ist das leider zu einer Seltenheit geworden. Die äußerst unangenehme Situation, dem anderen bislang (vermeintlich) über alles geliebten gegenüberstehen zu müssen, ihm in die Augen sehen zu müssen, seine immer noch überwältigende Anwesenheit ertragen zu müssen wird gemieden.
Lieber die Möglichkeit behalten, per Knopfdruck den anderen im wahrsten Sinne des Wortes auszuschalten.

Aber Moment. was machen wir mit dem Beziehungsende vor dem Beginn einer Beziehung?
Man lernt sich kennen, im Herz wird aplaudiert, man hat ihn gefunden! Wir reden wir lachen, wir philosophieren und psychologisieren, zählen Sonnenstrahlen und Sterne, wir laufen Händchen haltend über Wiesen und plötzlich… ein Abgrund und unten kauert schon hungrig und knurrend das böse B-Wort-Monster. Sie springt, er traut sich nicht und kehrt um. - es bleibt der freie Fall?! Es folgt irgendwann der Aufprall. Sie findet sich wieder in einer ganzen Schar mutiger Genossinnen.
Was ist passiert mit dem "starken Geschlecht"? Seid ihr abgestumpft vor lauter kassierten Körben und erlebten Zwängen?  Männer werden immer schwächer, Frauen immer stärker; "Emanze" heißt das dann mit neidischem Unterton.
Wir brauchen uns bald nicht mehr um den letzten Mann auf Erden Sorgen machen, vielmehr sollten die lieben feigen Männer von heute sich bald mal nach der letzten Frau auf Erden umschaun. Und da wirds mindestens zwei geben, und die werden lesbisch sein, weil sie gesprungen sind und sich von Wolke 7 wieder hochtragen haben lassen. - Die letzten werden die ersten sein und wer riskiert, kann nur gewinnen!

Dienstag, 13. September 2011

Entschuldigen Sie bitte, sind Sie glücklich?...

Kleeblatt, Marienkäfer, Schweinchen, Hufeisen, Regenbogen, was weiß ich... wir alle kennen diese bisweilen etwas kitschigen Glückssymbole... aber was is eigentlich Glück? und warum fällts uns so schwer, es an unserm Leben teilhaben zu lassen?

Man sagt: „Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde…“ Demnach müssten wir einfach alle anfangen, zu reiten und gut ist… tun wir aber nicht… wir verzichten lieber auf das sich daraufhin einstellende Dauerlächeln zugunsten der Vermeidung von zwangsläufigen O-Beinen... und da ist er wieder, der „Wutbürger“ (2010 zum Un- und Wort der Jahres gewählt)… der ewige "Nein-Sager" und chronische "Dagegen-Seier"... der im In- wie Ausland verschriene ewig unzufriedene Deutsche, der bei jedem Fitzelchen Glück und Zufriedenheit den Haken sucht, über den man sich dann stunden-, ja wochenlang aufregen kann. (ich verweise hier nur zu gern auf einen Artikel meiner Freundin Monta: Dauernörgler 2.0 (http://montaalaine.blogspot.com/2011/07/dauernorgler-20verweilen-wir-doch-alle.html))
Einer Studie zufolge sind ja die Dänen das glücklichste Volk der Erde, warum weiß ich leider nicht mehr... Pech gehabt, muss ich den Schlüssel zum Glück weitersuchen.

Oder halten wir uns doch an Forrest Gumps philosophische Klugscheißerei „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie was drin ist“… warum lassen wir uns also nicht einfach überraschen? Ganz einfach, weil die meisten Menschen kontrollwahnsinnige Monster sind, die sich erstens nicht überraschen lassen, sondern mit Stadtplan und Organizer durchs Leben laufen, und zweitens die Praline mit der glücksbringenden Füllung garantiert als letzte essen; diese Praline hat quasi die "goldene A****karte", sie kann es auch eigentlich gleich sein lassen mit ihrem Vorhaben, uns glücklich zu stimmen, weil wir uns schon wieder darüber beklagen, dass wir nach der ganzen Schachtel Pralinen jetzt mindestens 5 kilo zugenommen haben. 

"I would like to be happy, but who is happy? (Marilyn Monroe)
„Glück ist ein fragloser Zustand“, sagt Theodor Adorno, „man ist glücklich. – erst im Nachhinein könne man bewusst und mit Gewissheit beurteilen, ob die Empfindung tatsächlich Glück war.“ Aber was sind diese Momente des Glücks? Die Momente, die wir im nachhinein von anderen abgrenzen und als „gut“ betiteln, ja schon fast wieder kategorisieren? Nehmen wir dem ganzen Augenblick nicht wieder seinen Zauber, wenn wir ihn so abstempeln?
Momente wären so etwas wie grenzenlose Zufriedenheit, die leere Gedankenblase im Comic... Fakt ist aber: wir haben einfach keine Zeit zum glücklich sein. Der Partner fürs Leben muss gefunden , die Karriereleiter im Laufschritt erklommen, und die kleinen schreienden genetischen Reproduktionen (man kann auch Kinder sagen) in die Welt gesetzt werden…

Carpe Diem – Memento Mori
Bücher mit Zitatsammlungen haben geradezu Hochkonjunktur, sind immer wieder ein gerngekauftes kleines Präsent. Wir lesen es, nehmen es im besten Fall zur Kenntnis, denken uns in wutbürgerlicher Manier „ja die haben ja leicht reden… früher war alles besser…“, stellen das Buch, wenn überhaupt  ins Regal und wutbürgern weiter… ja es gibt sogar eine "Anleitung zum Unglücklichsein" (Paul Watzlawick)
Und sowieso und überhaupt geht es allen anderen immer viel viel besser als mir selber… Mephisto wird sich wohl noch etwas anstrengen müssen, uns einen Augenblick zu verschaffen, der so gelungen, ja befriedigend ist, dass wir innehalten und alle im Chor singen: „Verweile doch, du bist so schön“


Why did we make it so hard. This life is so complicated, until we see it through the eyes of a child.
Dabei wäre es so einfach, wenn wir alle ein bisschen mehr in bescheidener Zufriedenheit verweilen würden. Wie Diogenes, für den der größte Wunsch wäre, dass ihm Alexander der Große aus der Sonne gehe… gut, wir müssen uns jetz nicht gleich in eine Tonne setzen, aber ein Baum täts auch, vorzugsweise ein Olivenbaum für das griechischen Diogenes-Flair.
Oder wie wärs einfach mal, mit offenen Augen durch die eigene Stadt schlendern… ohne Armbanduhr, Organizer und Handy versteht sich… Auf eine Spielplatz rennen, Kinder vertreiben und die Schaukel besetzen =)

Montag, 5. September 2011

Die Weisheit baut sich ein Haus – Architektur und Geschichte der Bibliothek

Verändern sich Bibliotheken infolge der Digitalisierung zu einem jederzeit und überall verfügbaren Warenhaus an Informationen? Steuern wir immer mehr auf die Bibliothek als „Friedhof der vergessenen Bücher“ (Carlos Ruiz Zafó) zu? Doch wie ist es auf der anderen Seite zu erklären, dass entgegen der heraufbeschworenen Apokalypse der Bibliotheken angesichts der neuen Medien in den letzten 20 Jahren mehr Neubauten als je zuvor entstanden?

Diese Fragen stellt und beantwortet das Architekturmuseum der TU München in der Ausstellung „Die Weisheit baut sich ein Haus – Architektur und Geschichte der Bibliothek“.
Ausstellung noch bis zum 16. Oktober 2011 in der Pinakothek der Moderne, München.


Vom Suchen und Finden des Wissens
Über 100 Publikationen stellt die „Stiftung Bibliothek Werner Oechslin“ zur Verfügung: Bücher, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich Wissen möglichst klar und einheitlich strukturieren lässt. Der Ursprung der Ordnungssysteme liegt ganz klar im Alphabet: Der Übergang von Bildsprache zur Schriftsprache.

Ton – Papyrus – Pergament – Buch – Festplatte
Die Entwicklung der Speichermedien: wie lässt sich dieses geordnete Wissen fixieren? Die Ägyptischen Hochkulturen meißelten ihre längerfristig zu tradierende Texte in Stein- und Tontafeln  und lagerten diese in Regalen, in Griechenland und Rom wurden die Texte wesentlich platzsparender in zusammengerollten Papyrusrollen aufbewahrt, ein großer Teil dieser kulturgeschichtlichen Textzeugnisse wurde im Zuge der zunehmenden Überlagerung von griechischer und christlicher Traditionen durch Zensierung zerstört. Die dadurch verkleinerten Bibliotheken des Mittelalters verdienen eher den Namen Bücherschrank, denn meist enthielt ein Kloster nicht mehr als wenige 100 Werke und zahlreiche Abschriften der immer selben „als besonders wertvoll für das Christentum“ kanonisierten Texte. Im Vergleich zu den über 40.000 Papyrusrollen der Griechen und Römer ein Witz…

Bewahren – Bedienen – Benutzen
Die Entwicklung der Speichermedien geht einher mit der Entwicklung der architektonischen Umsetzung der Wissensspeicherung, dem Bibliotheksgebäude an sich: wie lässt sich das fixierte Wissen vor Verfall und Zerstörung bewahren? Wie sehen die am besten geeigneten Aufbewahrungsorte aus?
Immernoch gilt "Alexandria" als Metapher für Bibliotheksbau. In der Antike galt sie als Kern des Wissens der Welt. Heute steht an der Stelle des antiken Vorbilds symbolisch das neue Gebäude, Kugelförmig - unendlich, umfassend, vollkommen eben.


Von langen Bücherregalen gesäumte Lesehallen, hohe Decken, damit die Gedanken genügend Raum finden, mehrere Ebenen, wodurch schon Struktur zur Aufbewahrung vorgegeben wird, usw usw... Zahlreiche Fotografien der bedeutendsten Bibliotheken der Welt geben abrissartig einen Überblick über die Architekturgeschichte.

Die Gemeinsamkeit: Das Streben nach dem Bau von Universalbibliotheken: möglichst alles, möglichst strukturiert, möglichst in einem Gebäudekomplex!
Diese Ideen wurden auch in der Literatur immer wieder behandelt und/oder karikiert. Die bekannteste Erzählung ist die Kurzgeschichte „La biblioteca de babel“ von Jorge Luis Borges: eine unendliche Bibliothek, die jedes Buch der Welt genau einmal enthält. Einziges Problem: niemand kennt das Ordnungssystem, niemand weiß wo man was findet, man kann nicht mal bis an ihr räumliches Ende blicken... eine Benutzung wird unmöglich...

Quo vadis Bibliothek?
Was geschieht aber in Zeiten von digi-Bibs und E-Books mit der ursprünglichen Idee der Bibliothek als Ort , an dem kulturelle Vergangenheit Gegenwart wird? Die Bibliothek als riesiges Gebäude, in dem Wissen in Form von Texten, fixiert auf spürbaren Medien konserviert und tradiert wird, scheint unnötig zu werden, wenn jeder ganze Bibliotheken einfach in der Hosentasche mit sich rumträgt (allein der angebissene Apfel bietet seinen smartphone-Nutzern rund 30.000 Titel zum kostenlosen Download)?
Die zu beobachtende Tendenz ist aber eine andere: die Bibliothek verendet nicht, sie verändert sich… allein in den letzten zwei Jahrzehnten wurden so viele Neubauten konstruiert wie nie zuvor!
In Zukunft wird man von drei Erscheinungsformen sprechen: 1) die virtuelle Bibliothek, in der man Bücherseiten nur noch mittels eines lässigen Fingerwischs über den Bildschirm umblättert… 2) die introvertierte Bibliothek, die weiterhin einen abgeschlossenen Bereich zum Arbeiten mit Büchern bietet… 3) die extrovertierte Bibliothek, die sozusagen beide Bibliotheken miteinander vereint, immer noch der traditionellen Bibliothek treu bleibt, sich aber den neuen Medien öffnet und zum so genannten „Wissens-Zentrum“ wird…

Natürlich muss man bei aller Liebe zum Papier eingestehen, die Möglichkeit, Texte in einem elektronischen Katalog nochmals abzusichern und somit unendlich haltbar zu machen, hat  Vorteile; denken wir nur an den grauenvollen Brand, der 2004 in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar ausbrach und die Bibliothek um knapp 50.000 Bände beraubte… mittels elektronischer Kataloge ließ sich ein Großteil der beschädigten oder vernichteten Bände restaurieren.

Doch in dem ganzen Rausch des Digitalisierens und „Datenbankings“ sollte man eines nicht vergessen: Daten sind nicht gleich Informationen, Informationen ist nicht gleich Wissen, und Wissen ist nicht gleich Bildung!



Bilder: Architekturmuseum der TU München, Apple

Mittwoch, 24. August 2011

Das "Goldene Zeitalter Syndrom"

…die geträumte Flucht in eine andere Epoche angesichts der furchterregenden Gegenwart… davon handelt „Midnight in Paris“, Woddy Allens Liebeserklärung an die Stadt der Liebe.

Paris am Morgen ist wunderschön
… Gil Pender, ein Hollywood-Drehbuchschreiber will weg von diesem zwar sehr profitablen, aber doch immer gleichen, bisweilen stumpfsinnigen Schreiben und als ernstzunehmender Schriftsteller neu anfangen. Ein Traum geht für ihn in Erfüllung, als er mit seiner Verlobten Inez und deren Eltern in die Stadt der Liebe fährt. Paris, die Stadt für die er schon immer schwärmt, vor allem wenn es regnet, und vor allem für ihr Rolle als Künstlerzentrum in den Zwanziger Jahren. Inez zeigt keinerlei Verständnis für seine Schwärmerei, für sie ist die Reise ein Urlaub auf Kosten der Eltern und noch dazu eine Gelegenheit, das zukünftige gemeinsame Haus auszustatten...


Paris am Nachmittag ist charmant
… wenn man nicht zufällig auf Inez’ langjährigen Freund Paul und seine Frau Carol trifft, die gerade in Paris sind, weil Paul einen Vortrag an der Sorbonne hält, und man ab jetzt die Zeit ja gemeinsam verbringen kann. Wie zum Beispiel ein Besuch des Musée Rodin, in dem Paul, der selbstverständlich alles über Leben und Werk August Rodins weiß, kurzerhand die Führung übernimmt. 

Paris am Abend ist bezaubernd
…um dem pseudo-intellektuellen Paul endlich zu entfliehen, kapselt sich Gil nach der gemeinsamen Weinprobe von der Gruppe, die noch zum Tanzen weiterzieht, ab...
Doch Paris nach Mitternacht ist magisch
Als er sich auf dem Heimweg verirrt, wird Gil kurz nach Mitternacht von einer Limousine aufgelesen, mitgenommen und landet bei all den großen Künstlern, seinen Idolen, im Paris der 1920er Jahre – seinem persönlichen Goldenen Zeitalter.


Von nun an verbringt er jede Nacht mit den Spaziergängen zu seinen neuen Freunden. Er feiert die besten Parties bei den Fitzgeralds, sitzt mit Ernest Hemingway bei Gertrude Stein, die gerade mit Pablo Picasso über eines seiner neuen Werke diskutiert, lässt sein Manuskript von ihr gegenlesen, versucht vergeblich den Surrealisten Salvador Dalí, Luis Buñuel und Man Ray seine verwirrende Situation zu erklären, sich gleichzeitig in zwei Zeitaltern zu befinden, schlägt Luis Buñuel einen neuen Film vor (el ángel exterminador)...
Höhepunkte seiner nächtlichen Zeitreisen sind die romantischen Begegnungen mit der Pariser Picasso-Muse Adriana, die ihrerseits von einem Goldenen Zeitalter, dem Fin de Siècle, träumt, in dem sie zum Schluss am Nachbartisch von Henri de Toulouse-Lautrec im Moulin Rouge rauskommen...
Sie lehrt ihn die Moral dieses Films: es ist im Großen und Ganzen besser, in der nicht ganz perfekten Gegenwart zu leben, als sich in längt vergangene Traumwelten zu flüchten, denn nie würde jemand seine eigene Zeit als Goldenes Zeitalter bezeichnen…

"Ich liebe es, auf ein kulturelles Stereotyp reduziert zu werden!"
... sagte einst der Stadtneurotiker Alvy… auch hier: Woody Allen spielt mit den Klischees, er entwirft oberflächliche, aber mindestens genauso charmante wie liebevolle Karikaturen.

Und wieder einmal mit typischer Woody-Allen-Hingabe gecastet: ein Owen Wilson wie man ihn noch nie zuvor gesehen hat, Corey Stoll als Ernest Hemingway, Tom Hiddleston als F. Scott Fitzgerald, Adrien Brody als Salvador Dalí und eine bezaubernde und dominante Kathy Bates als Gertrude Stein, die Mami, bei der sich die Künstler Nacht für Nacht treffen.

Wenn Jorge Luis Borges sagt, dass kein Buch ohne andere bestehen kann, dann schafft Woody Allen genau das: sein intertextueller Wortwitz quillt nur so über vor Anspielungen auf Literatur, Philosophie, Kunst und Musik… der Zuschauer wird mitgerissen und rätselt voll Spannung, bei welchem Künstler der Lost Generation man als nächstes an den Tisch gesetzt wird, stets Wein, Champagner und Calvados trinkend.



Jeder von uns träumt sich gerne manchmal in eine andere Zeit…
Und was ist dein „Goldenes Zeitalter“?


Bilder: Concorde Filmverleih GmbH

Dienstag, 23. August 2011

geweint, gelacht und nachgedacht

...passender hätte das Banner, das bei der letzten Aufführung unter Dieter Dorn vom Balkon des Residenztheaters herabhing, die Gedanken und Emotionen das treuen Dorn-Publikums nicht ausdrücken können...

gekommen und geblieben
1976 kam Dieter Dorn vom Schillertheater in Berlin nach München, eine, wie er selbst sagt, "wunderbare Theaterstadt". Angefangen als Oberspielleiter an den Kammerspielen, baute er um sich ein unglaubliches, sich immer wieder weiterentwickelndes Ensemble auf, mit Theatergrößen wie Rolf Boysen, Cornelia Froboes, Thomas Holtzmann, Sunnyi Melles, Gerd Anthoff oder Gisela Stein, um nur einige zu nennen. 2001 kam die Überlegung auf, zurück nach Berlin zu gehen, doch sein Ensemble sagte ihm klar und deutlich: "wir machen alles mit, nur umziehen wollen wir nicht mehr." Ein Glück: Dorn blieb und übernahm die Intandanz des Bayerischen Staatsschauspiels.


Dorns Inszenierungen bestechen durch ihre Authentizität. Er braucht keine großen, aufwändigen Bühnenbilder. Dorns Theater nimmt die Texte und seine Figuren ernst, nimmt sie vollkommen bis ins kleinste Detail wahr, sucht den Sinn hinter der Sprache.
Rolf Boysen hat einmal gesagt: "Bei Dorn sieht man das langsame Entstehen eines Menschen auf der Bühne" Dieter Dorns Theater ist ein Erlebnis, sein Theater sind keine Projekte. Es wird betitelt als "sinnliche Aufklärung". Dorn macht die Gegenwart greifbar, die Vergangenheit gegenwärtig.


Es gibt nur ein einziges Kriterium für Theater: Ausverkauft!
Dem Vorwurf, sein Theater sei nicht zeitgemäß genug, entgegnet er nur mit einem "ja das sehen wir daran, dass fast jede Vorstellung ausverkauft war". Er spielt Shakespeare, geht mit Sophokles und Euripides zurück zu den griechischen Theaterursprüngen, unter seiner Führung kommen Goethe und Schiller wieder auf die Bühne und dazwischen immer wieder sein Lieblingsautor Botho Strauß.


Der letzte Vorhang, die letzte Verbeugung, der letzte Applaus... 
2011 Kleist-Jahr! Und für Dieter Dorn die Chance am Ende seiner Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel seinen Traum zu verwirklichen: "Das Käthchen von Heilbronn" im ungekürzten Originaltext.
Und Dorn inszeniert sich selbst: als Kaiser, als Spielleiter geht er durch den Nebel seinem Publikum entgegen, mit ein paar Handbewegungen winkt er sein Ensemble herbei zu seiner letzten großen Aufführung. Es ist das perfekte Stück zum Abschied: Der Intendant mit seiner ganzen Theaterfamilie auf einer Bühne!
Nach 4 Stunden standing ovations des Publikums... bis Dieter Dorn auch noch Regisseur seines Publikums wird und ruft: "Aus!"
Danke, Dieter Dorn!