Mittwoch, 24. August 2011

Das "Goldene Zeitalter Syndrom"

…die geträumte Flucht in eine andere Epoche angesichts der furchterregenden Gegenwart… davon handelt „Midnight in Paris“, Woddy Allens Liebeserklärung an die Stadt der Liebe.

Paris am Morgen ist wunderschön
… Gil Pender, ein Hollywood-Drehbuchschreiber will weg von diesem zwar sehr profitablen, aber doch immer gleichen, bisweilen stumpfsinnigen Schreiben und als ernstzunehmender Schriftsteller neu anfangen. Ein Traum geht für ihn in Erfüllung, als er mit seiner Verlobten Inez und deren Eltern in die Stadt der Liebe fährt. Paris, die Stadt für die er schon immer schwärmt, vor allem wenn es regnet, und vor allem für ihr Rolle als Künstlerzentrum in den Zwanziger Jahren. Inez zeigt keinerlei Verständnis für seine Schwärmerei, für sie ist die Reise ein Urlaub auf Kosten der Eltern und noch dazu eine Gelegenheit, das zukünftige gemeinsame Haus auszustatten...


Paris am Nachmittag ist charmant
… wenn man nicht zufällig auf Inez’ langjährigen Freund Paul und seine Frau Carol trifft, die gerade in Paris sind, weil Paul einen Vortrag an der Sorbonne hält, und man ab jetzt die Zeit ja gemeinsam verbringen kann. Wie zum Beispiel ein Besuch des Musée Rodin, in dem Paul, der selbstverständlich alles über Leben und Werk August Rodins weiß, kurzerhand die Führung übernimmt. 

Paris am Abend ist bezaubernd
…um dem pseudo-intellektuellen Paul endlich zu entfliehen, kapselt sich Gil nach der gemeinsamen Weinprobe von der Gruppe, die noch zum Tanzen weiterzieht, ab...
Doch Paris nach Mitternacht ist magisch
Als er sich auf dem Heimweg verirrt, wird Gil kurz nach Mitternacht von einer Limousine aufgelesen, mitgenommen und landet bei all den großen Künstlern, seinen Idolen, im Paris der 1920er Jahre – seinem persönlichen Goldenen Zeitalter.


Von nun an verbringt er jede Nacht mit den Spaziergängen zu seinen neuen Freunden. Er feiert die besten Parties bei den Fitzgeralds, sitzt mit Ernest Hemingway bei Gertrude Stein, die gerade mit Pablo Picasso über eines seiner neuen Werke diskutiert, lässt sein Manuskript von ihr gegenlesen, versucht vergeblich den Surrealisten Salvador Dalí, Luis Buñuel und Man Ray seine verwirrende Situation zu erklären, sich gleichzeitig in zwei Zeitaltern zu befinden, schlägt Luis Buñuel einen neuen Film vor (el ángel exterminador)...
Höhepunkte seiner nächtlichen Zeitreisen sind die romantischen Begegnungen mit der Pariser Picasso-Muse Adriana, die ihrerseits von einem Goldenen Zeitalter, dem Fin de Siècle, träumt, in dem sie zum Schluss am Nachbartisch von Henri de Toulouse-Lautrec im Moulin Rouge rauskommen...
Sie lehrt ihn die Moral dieses Films: es ist im Großen und Ganzen besser, in der nicht ganz perfekten Gegenwart zu leben, als sich in längt vergangene Traumwelten zu flüchten, denn nie würde jemand seine eigene Zeit als Goldenes Zeitalter bezeichnen…

"Ich liebe es, auf ein kulturelles Stereotyp reduziert zu werden!"
... sagte einst der Stadtneurotiker Alvy… auch hier: Woody Allen spielt mit den Klischees, er entwirft oberflächliche, aber mindestens genauso charmante wie liebevolle Karikaturen.

Und wieder einmal mit typischer Woody-Allen-Hingabe gecastet: ein Owen Wilson wie man ihn noch nie zuvor gesehen hat, Corey Stoll als Ernest Hemingway, Tom Hiddleston als F. Scott Fitzgerald, Adrien Brody als Salvador Dalí und eine bezaubernde und dominante Kathy Bates als Gertrude Stein, die Mami, bei der sich die Künstler Nacht für Nacht treffen.

Wenn Jorge Luis Borges sagt, dass kein Buch ohne andere bestehen kann, dann schafft Woody Allen genau das: sein intertextueller Wortwitz quillt nur so über vor Anspielungen auf Literatur, Philosophie, Kunst und Musik… der Zuschauer wird mitgerissen und rätselt voll Spannung, bei welchem Künstler der Lost Generation man als nächstes an den Tisch gesetzt wird, stets Wein, Champagner und Calvados trinkend.



Jeder von uns träumt sich gerne manchmal in eine andere Zeit…
Und was ist dein „Goldenes Zeitalter“?


Bilder: Concorde Filmverleih GmbH

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